Nachhaltigkeitskongress in Stuttgart: eBürgerauto im Land des neuen Wunderdiesels

Am 13.April hat die baden-württembergische Landesregierung in der Stuttgarter Liederhalle einen <link https: www.nachhaltigkeitsstrategie.de kongress-2018.html>Nachhaltigkeitskongress unter dem Motto "Mehr TateN! / Mehr Zukunft“ veranstaltet. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums seiner Nachhaltigkeitsstrategie wurden den 900 Teilnehmern Foren zu den Nachhaltigkeitszielen (SDG), Klimawandel und Anpassung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Klimaschutz und Energiewende, Nachhaltiger Konsum, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit bewegt die junge Generation und Mobilität der Zukunft geboten.

In letzterem moderierte die Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine Diskussion zwischen dem Bürgermeister einer ländlichen Gemeinde, der Vorsitzenden des baden-württembergischen BUND, dem Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und den Teilnehmenden. Die Vortragenden durften in wenigen Minuten Thesen formulieren, denen die Teilnehmenden vor und nach der Diskussion zustimmen konnten.

Die BUND-These lautete en gros „Vermeidung und Verlagerung sind notwendig“, die des Bürgermeister „im ländlichen Raum sind aufgrund dessen starker Differenzierung individuelle Lösungen notwendig“, und die des Automobilökonomen „das Auto bleibt insbesondere im ländlichen Raum das Rückgrat, kann aber durch geteilte autonome Fahrzeuge bis 2030 lokal emissionsfrei und bis 2050 klimaneutral betrieben werden“.

Neben den Thesen präsentierte der Bürgermeister auch den Zusammenschluss mit vier weiteren ländlichen Gemeinden zum Projekt „Spurwechsel“. Dort können sich Bürger/Innen für 11€50 pro Stunde beim lokalen Nachbarschaftshilfeverein ein eBürgerauto mit ehrenamtlichen aber mit 9€50 Aufwandsentschädigung bezahlten Fahrer/Innen buchen. Ausserdem wurden pro Gemeinde zwei Mitfahrbänkle aufgestellt.

Die Teilnehmenden befragten die Vortragenden zu den Themen Stadt- und Raumplanung, Wandel des Autobesitzes, Informationsdefiziten, mangelhaftem Angebot alternativer Antriebe und bezahlbarer Schnellladeinfrastruktur, Ampelsteuerungen sowie 365€-Ticket. Auch das Thema Güterverkehr wurde via die Punkte Genossenschaftsläden, Lieferdepots und Internetbestellhilfen thematisiert.

Besonders interessant fand ich die Antwort des Automobilökonomen Willi Diez auf die Frage nach den Gründen des aktuellen Lieferengpasses für Elektrofahrzeuge. Die deutschen Fahrzeugbauer hatten zwischenzeitlich immerhin 9 Jahre Zeit, sich auf die Einhaltung des 2009 im Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung erklärten Zieles vorzubereiten, eine Million Elektrofahrzeuge auf die Strasse zu bringen. Der Automobilökonom erklärte die Lieferprobleme in der komplexen Lieferkette, die von den seltenen Erden (Stichwort "sauberes Kobalt") über die Batteriezelle bis zum Elektroauto nur mit Verzögerung an die hohe Nachfrage angepasst werden kann. Wo also vorher keine Nachfrage bestand ist man plötzlich mit der hohen Nachfrage überfordert. Ein Schelm wer böses denkt...

Dabei erinnert das doch stark an die Problematik mit den 1999 (!) beschlossenen und seit 2010 (!!) bindenden Stickstoffdioxid-Grenzwerten. Auch da ist die deutsche Kraftfahrzeugindustrie urplötzlich völlig überfordert, sich an politische Vorgaben zu halten, die vor bald 20 Jahren beschlossen wurden. Statt schon damals auf emissionsarme Antriebe zu setzen und bis heute Weltführer in diesem Bereich zu werden, hat man lieber noch bis 2016 mit Milliardeninvestition in neue Dieselgenerationen geprahlt. Wer hier übrigens die von Bosch aufrecht erhaltene Mär vom sauberen Diesel glaubt sei daran erinnert, dass die jüngst von Bosch verkündete Wunderlösung Thermomanagement für die meisten Kleinwagen leider zu aufwendig sein wird. Müssen wir halt weiter gewinnträchtige SUV mit Allrad kaufen, bei denen dann auch keine Lieferengpässe auftreten – es sei denn es treten urplötzlich Softwareprobleme auf. Konnte ja auch keiner ahnen, dass plötzlich neue Messzyklen kommen - die wurden ja auch „erst“ Ende 2015 fertig gestellt.

Immerhin bekommen wir damit schonmal einen Vorgeschmack auf den trotz Milliardengewinnen zu erwartenden Personalabbau im Zuge der Elektrifizierung.


PS: Meine Prognose für die Argumentation in der zu erwartenden Automobilkrise: die völlig unerwartete Nachfrageveränderung zwingt die Automobilindustrie zu sogenannten Rationalisierungen, die von einer als Umweltprämie bezeichneten Verschrottungsprämie für quasi neue Dieselfahrzeuge mit Steuergeldern abgefedert werden „müssen“. Die bekommt jeder, der sich eine übermotorisierte Reiserennlimousine mit Allradantrieb und schwäbischem Thermomanagement leisten kann. Mit Diesel natürlich, um die verbleibenden Arbeitsplätze zu retten.

Im (Süd-)Westen also nichts neues. Bis auf ein paar ländliche Gemeinden, die schon heute anfangen, die sozialen Konsequenzen auszubaden.