Warum Deutschland (und seine Automobilindustrie) keine Angst vor der Verkehrswende haben muss
1. Der Binnenmarkt der Automobilindustrie ist klein
Laut VDA, dem Verband der deutschen Automobilindustrie arbeiten in Deutschland knapp 800.000 Menschen in der Autobranche. Ingenieure, Vertriebskräfte, Fließbandarbeiter und viele mehr sorgen dafür, dass pro Jahr die stolze Zahl von ca. 5,7 Millionen PKW von deutschen Fließbändern auf die Straßen rollen.
Von dieser imposanten Zahl gehen aber über 4,4 Millionen direkt in das Ausland, da Deutschland im Automobilsektor eine fantastisch hohe Exportquote von 72% vorzuweisen hat.
Diese traumhafte Exportquote wäre aber von einer inländischen Verkehrswende überhaupt nicht betroffen, was bedeutet, dass von unseren 800.000 Arbeitsplätzen in Deutschland lediglich 181.000 für den Binnenmarkt produzieren und von einer Verringerung der PKW-Verkehrsleistung hierzulande möglicherweise betroffen wären.
2. Mehr Radverkehr heißt nicht automatisch weniger PKW-Zulassungen
In den Niederlanden baut man schon seit fast fünfzig Jahren an der ökologischen Verkehrswende und hat in manchen Städten mittlerweile Traumquoten für den Radverkehr von bis zu 60% (!) erreicht, während hier in Deutschland 20% eher normal sind. Ein Blick dorthin ist ein Blick in die Glaskugel des Verkehrs der Zukunft und gibt uns Auskunft darüber, welche Rolle der motorisierte Individualverkehr in wenigen Jahrzehnten auch hier in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit spielen wird.
Trotz der wirklich herausragenden Radwegeinfrastruktur und einem hervorragenden multimodalen Nahverkehrsangebot in den Städten ist es nämlich keineswegs so, dass die Niederländer nur noch mit dem Rad fahren oder das Auto in der Garage stehen lassen. Tatsächlich ist die Autobesitzquote zwar etwas niedriger, aber es gibt weiterhin den Wunsch nach automobiler Fortbewegung und es wird ihn auch weiterhin geben, auch wenn die Automobilindustrie dort so gut wie keine Rolle spielt.
In Zahlen sieht das Verhältnis so aus, dass nur etwa jeder zweite Niederländer einen PKW besitzt, während die deutschen ein (statistisches) Verhältnis von 1 PKW pro 1,3 Einwohner haben. Für unsere Zahl der Arbeitsplätze bedeutet das, dass von den 181.000 Menschen in der Automobilindustrie wiederum nur noch gerade mal 68.962 von der Verkehrswende betroffen wären, wenn in den nächsten dreißig Jahren der Radverkehrsanteil um 50% steigen würde.
3. Das Auto allein schafft keine Arbeitsplätze
Die Automobilbranche arbeitet so effizient wie kaum ein anderer Industriezweig in Deutschland. Viele Arbeitsschritte sind automatisiert oder hochkomplexen, oft sekundengenauen Takten unterworfen. Andere Zweige der Mobilitätsbranche sind weit weniger profitorientiert und schaffen ebenso Arbeitsplätze zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, im Tourismus, in der Zweiradindustrie, oder bei den großen Lokomotiv- und Waggonbauunternehmen, die es hier in Deutschland gibt.
Fazit: Arbeitsplätze, die im Automobilsektor entfallen, werden zwangsläufig woanders neu geschaffen. Das heißt für unsere Arbeitsplätze, dass von den gefährdeten 68.962 Arbeitsplätzen ein Großteil dorthin wandern wird und am Schluss vielleicht nur noch etwa 20.000 Arbeitsplätze tatsächlich entfallen könnten.
Der Strukturwandel ist eine Chance
Wie also gerade gesehen, fallen in den nächsten 30 Jahren höchstens 69.000, wahrscheinlich aber nur etwa 20.000 Arbeitsplätze überhaupt der Verkehrswende "zum Opfer", dabei überhaupt von einem Strukturwandel zu sprechen ist schon etwas übertrieben.
Trotzdem: Stetiger Strukturwandel hat Deutschland groß gemacht und wird auch bei der Frage zur Mobilität der Zukunft wieder viele Chancen für neue Arbeitsplätze bieten, wenn dieses Land sich auf seine Stärken besinnt und die Herausforderungen ernst- und annimmt. Das Knowhow ist zweifellos vorhanden.
Also nicht Jammern, Ärmel hochkrempeln und Radwege bauen :)