Kindertransport: Lastenrad versus Fahrradanhänger

Ein Freund in Berlin ist Papa geworden und erwägt daher, in seinen Fuhrpark zu investieren. Als zeitgemäß denkender Mensch stellt sich für ihn die Frage: Fahrradanhänger oder Lastenrad. Da wir gerade mit unserem Anhänger im Flixtrain (die bezahlbaren DB-Verbindungen hatten keinen Platz für Räder) in Berlin aufgeschlagen waren ham wir einfach den Direktvergleich gewagt: einspuriges Lastenrad von Listnride gegen Einsitzer von Thule. Am Abend hab ich dann die dabei gesammelten Erfahrungen in eine Argumenteliste gegossen und noch ein bissel recherchiert. Hier das Ergebnis.

 

UPDATE: es findet sich nun ein Vergleich Pedelec mit Anhänger versus Lastenrad in diesem Blog

Vorab zur Definition des Lastenrades: Wer mal in die VCD-Datenbank (http://lastenrad.vcd.org/marktuebersicht/vcd-lastenrad-datenbank/datenbank/) schaut wird feststellen, dass zahlreiche klassische Räder mit besonders hoher Zuladung auch in die Kategorie Lastenrad fallen.  Wenn ich jetzt aber von Lastenrädern schreibe meine ich die mit dem Kasten vorne, weil es ja um den Kindertransport geht.  

Im Netz findet sich folgender zwar kommerzieller aber für den Anfang brauchbarer Artikel: https://www.e-lastenrad.de/lastenrad-vs-anhaenger

Aber Achtung: erstens stimmt die Altersangabe einer Schnellrecherche zufolge nicht, weil Kinder wohl bis zum Alter von 7 Jahren in Anhängern transportiert werden dürfen. Ausserdem finde ich die Angabe, dass man mit dem Anhänger nur zwei Kinder transportieren unvollständig, weil auf das Fahrrad ja nochmal zwei Kinder in Front- und Rücksitz transportiert werden können. Plus vier Packtaschen hab ich da also eine sehr gut vergleichbare Transportkapazität zum Lastenrad.

Ich würde die dortige Checkliste noch durch folgende Erwägungen ergänzen:

Möchte ich mit dem Rad die (S-/U-) Bahn nutzen: Aufzüge sind für Anhänger meist zu kurz, dafür kann ich aber im Notfall zumindest mit nem Einsitzer auch mal ne Rolltreppe runter oder den Anhänger einfach tragen. Ein 1 Zentner Lastenrad an der Warschauer drei Stockwerke hochtragen möchte ich jetzt glaub nicht so wirklich ausprobieren. Im Mehrzweckabteil angekommen ist das Lastenrad mit starrem Kasten (dies sei ein Hinweis auf den faltbaren Lastenkorb des Muli-cylces) zu Stosszeiten vermutlich genauso gern gesehn wie ein Fahrrad mit Anhänger. Sogenannte Backpacker oder Longtails können hinten zwei Kinder im Rücksitz und vorne ggf. noch eins im Frontsitz transportieren ohne dass ich mir über sowas weiter Gedanken machen muss.

Zum Thema Einkaufen: Ich selber konsumiere wenig Getränkekisten, und wenn dann krieg ich die auch mal kurz im Kinderanhänger transportiert, während das Kind in den Frontsitz ausweicht. Die Gemüsekiste kriegen wir hinten im Anhänger verstaut, und für den Großeinkauf nehm ich noch ein bis zwei grosse Packtaschen dazu. Und wenn das Kind auf dem Weg zum Einkauf öfter mal einschläft: den Anhänger kannste mit reinnehmen. Wer jeden Tag nen Kasten Sprudel weghaut und zum Supermarkt nen Kilometer den Berg hoch muss, für den ist natürlich ne elektrische Unterstützung irgendwo ganz cool. Ob ich die dann aber in mein vorhandenes Lieblingsrad oder das Lastenrad meiner Wahl einbau ist letztendlich wurscht. Selbst Lastenanhänger gibts zwischenzeitlich mit Elektrounterstützung, aber das ist eher im Gütertransport praktisch, weil ich ja vielleicht auch mal ohne den Anhänger nen Ausflug machen möchte.

Sharing: Wenn sich in meiner Stadt gerade ein Lastenrad- oder Ebike-Sharing breit macht würde ich das definitiv mal testen bevor ich mir selber was teures zuleg.

Parken: Kann ich mein Rad sicher und witterungsgeschützt parken? Nen guten Anhänger kann ich mal eben ne Treppe runtertragen oder zusammengefaltet in der Garage verstauen. Beim Lastenrad wird das schwierig. Das trägt mir aber so schnell auch keiner weg.

Wieviele Kinder will ich transportieren: das Thema betrifft nicht nur die Familienplanung. Ruck zuck braucht man bei nem Ausflug oder bei Besuch nämlich mal Platz für die mit dem Zug gekommenen Kinder. Ein Rad für Erwachsene krieg ich überall her, aber leih Dir mal kurz nen Kindersitz oder nen Anhänger mit passender Kupplung aus. Hier punktet eindeutig das Lastenrad.

Distanzen: fahr ich von der Kita noch 7km zur Arbeit? Dann wohl lieber nicht mit nem zweispurigen (= idR 3 Räder) Lastenrad. Mit nem Einspurer (zwei Räder) schon eher.

Flexibilität: ein Elternteil bringt, der andere holt und dazwischen sieht man sich nicht? dann wird mit dem Lastenrad schnell kompliziert. Mit dem Anhänger muss ich nur genügend Kupplungen (auch hier Systeme vergleichen!) kaufen und die Grosseltern können auch mal einspringen.

Urlaub: ein zweispuriges Lastenrad fährt im Urlaub nur mit Muskelkraft, ein einspuriges darf ich schätzungsweise auch in die Bahn mitnehmen. Unsern zusammengefalteten Einsitzer (Anhänger) hab ich auch schonmal in einem Liegewagenabteil unter die Leiter bekommen. Im Städteurlaub kann ich den Anhänger auch an Mieträder hängen oder als Buggy nutzen.

Wer sich für ein Lastenrad entscheidet, zB weil er ja eh schon einen Anhänger hat, der aber nicht mehr reicht, kommt schnell zur Frage ...

Ein- oder zweispurig: der VCD schreibt hierzu unter https://www.vcd.org/themen/radverkehr/lastenraeder/: "Das Fahrgefühl und die Lenkung ist bei Lastenrädern je nach Typ und Modell unterschiedlich: zweirädrige Lastenräder sind allgemein schneller und leichter, rollen sie einmal liegen sie sehr gut in der Spur. Man kommt leicht an Autoschlangen vorbei und fährt stabil in Kurven. Dreirädrige Lastenräder haben meist mehr Stauraum und sind im Stand und bei niedriger Geschwindigkeit kippsicher - dafür sind sie insgesamt etwas langsamer (Dreiradlenkung im Vergleich)." Wer also nicht sonderlich kräftig ist, nicht schnell (bzw. weit) fahren will und nicht durch enge Fahrradwege muss, für den macht ein zweispuriges Sinn. Allen andern würd ich raten, sich das sehr genau zu überlegen.

Preis: bei diesem leidigen Thema wirds komplex. Sowohl gute Anhänger (500-1000€) als auch Lastenräder (mit Aufbau und elektrischer Unterstützung 3500-6000€) haben eine hohe Wertbeständigkeit, was Du schnell an den Preisen für Gebrauchte merkst. Wenn Du ne gute elektrische Unterstützung möchtest leistest Du Dir die vermutlich lieber nur einmal, also entweder in einem normalen Pedelec (Neupreis rund 3000) oder im Lastenrad (Neupreis 4-6k€).

Verkehrssicherheit: Die Unfallgefahr halte ich durch die geringen Geschwindigkeiten für überschaubar. Viel wichtiger finde ich, dass ein Kind richtiges Verkehrsverhalten lernt. Das kann es im Frontsitz oder im Lastenrad besser als im Rücksitz oder im Anhänger. Daher könnte man entweder einen Frontsitz mit Anhänger abwechseln oder eben ein Lastenrad suchen, in dem die Kinder gute Sicht nach vorne haben.  

Fazit: Erstmal das lokale Lastenrad- und Pedelec- Sharing-Angebot ausloten, und nebenbei schonmal die regionalen Gebrauchtbörsen beobachten. Ich halte nen guten und eher einsitzigen Anhänger zwecks Witterungsschutz in den meisten Fällen für sinnvoll, und den bekommt man gebraucht auch für unter 500€. Ggf. noch ein (S-)Pedelec bzw. ein Longtail dazu. Wenn dann außerdem noch Bedarf an einem Lastenrad mit Kinder vorne besteht: jeden Elternteil testfahren lassen und genau überlegen, bevor man sich was ohne Motor oder besonders breites besorgt.

Dieses Fazit bestätigt auch folgender post aus https://www.cargobikeforum.de/forum/index.php?threads/lastenrad-oder-anh%C3%A4nger.1891/:

"Ich hab den Anhänger nicht weggegeben als wir das Lastenrad gekauft haben und ich bin sehr froh über die Entscheidung.

Einen Anhänger kann man auf Reisen mitnehmen im Zug und im Auto, sogar im Flugzeug war unserer schon. Im Freibad kann man Kinder und Krempel auf den Anhänger packen und muss nicht vor dem Eingang umladen und alles schleppen. Die Kinder können im Anhänger schlafen. Geht alles nicht im Lasti.

Allerdings ist das Lastenrad unser Lieblingsfahrzeug: man kann sich mit den Kindern unterhalten (ja, und sie auch besser beaufsichtigen. Wenns im Anhänger zu Streit kommt ist absteigen angesagt), man kann Kinder *und* Einkauf befördern und die Kinder finden es auch besser - sehen mehr, sitzen bequemer und es ist irgenwie auch cooler als Anhänger.

Ich hab selbst auch in S-Pedelec und hab die Weber Kupplung dran. Fahre illegalerweise die 3km zum Kindergarten mit Hänger in langsamem Tempo (Tochter No 2 fährt mit eigenem Rad daneben, ca. 15km/h) und dann die 23km in die Arbeit mit Full Speed. Hab schon öfter mal über ein zweites Lastenrad nachgedacht, am besten ein S-Load oder Packster. Allerdings können bald beide kinder selbst rad fahren, dann hat sich das Thema Kindertransport erstmal erledigt und für das eine Jahr möcht ich keine >5k€ ausgeben. Wenn ich ein günstiges gebrauchtes mit Classic Motor finden würde, vielleicht... "

 

Falls ihr euch für ein Lastenrad mit Kindern vorne entscheidet, schaut mal hier rein: https://www.allesbeste.de/test/die-besten-lastenraeder/

zu guter Letzt ein paar kommerzielle Infos:

 Weiterführender Artikel: https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-07/fahrrad-kindersitze-anhaenger-lastenrad-babyschalen-kinder-transportieren

 

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www.responsible-mobilities.info