Fachtagung Mobilität in Dresden

Wie versprochen liefere ich nun meine Zusammenfassung zur 14. Fachtagung der Reihe Mobilität und Kommunikation der TU Dresden. Insbesondere gehe ich auf den Ansatz des Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) für ländliche Gebiete ein und dazu gibt es weitere Highlights wie z.B. das Angebot von Fairtiq oder das Bürgerticket in Wuppertal. Viel Spaß beim Lesen! 

Nach den Naturschutztagen (vorheriger Beitrag) bot sich mir die Gelegenheit, meinen Jahresauftakt zur nachhaltigen Mobilität durch Teilnahme an einer Fachveranstaltung der Technischen Universität Dresden zu bereichern. Allein die Tatsache, dass diese Veranstaltung bereits über anderthalb Dekaden neuaufgelegt wird, macht deutlich, dass sich der Weg in die Hauptstadt Sachsens dafür lohnt. Zumal die Fakultät Verkehrswissenschaften der TU, der die Organisatoren der Fachveranstaltung angehören, eine lange Tradition aufweisen kann und mit 2.00 Studierenden laut eigenen Angaben eines der größten Kompetenzzentren Deutschlands im entsprechenden Fachbereich darstellt. Vor Ort habe ich dann herausgefunden, dass es in Dresden sogar ein Verkehrsmuseum gibt, wozu ich beim nächsten Besuch hoffentlich dazu kommen werde, einen eigenen Beitrag zu verfassen. Aber selbst ein fixer Blick auf das Programm genügt bereits, um interessierten Personen zum Thema Mobilität eine Teilnahme schmackhaft zu machen. Davon könnt ihr euch mit den folgenden Auszügen zum Programm selbst überzeugen:  

Tag 1

  • Reisebegleitung mit Augmented Reality mittels Datenbrille
  • Chancen für mobilitätseingeschränkte Personen durch digitale Technologien
  • Mobilitätslösungen für den ÖPNV ländlichen Raum
  • Mobility as a Service Plattformen und Technologien
  • Einsatzmöglichkeiten von Gamification im ÖPNV

Tag 2

  • Innovative Preisausgestaltung für Mobilitätsangebote
  • FAIRTIQ – die ganze Schweiz mit nur einem Ticket durchfahren
  • Erfahrungen zum 365 Euro Ticket in Bonn
  • Samstags kostenfreier ÖPNV in Aschaffenburg
  • Solidarisches Bürgerticket in Wuppertal

Das Programm ist somit breit aufgestellt und bietet Inhalte zu vielen aktuell diskutierten Themen. Allerdings ist der Zutritt mit 295 Euro (bzw. reduziert auf 150 Euro für Angehörige von Hochschulen) nicht ganz günstig, aber im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Kongressen (kosten oftmals mehr als 1.000 Euro) handelt es sich um durchaus vertretbare Kosten. Aber auch ohne etwas zahlen zu müssen, habt ihr nun hier oder auf der Website der TU die Gelegenheit, einen Einblick zur Veranstaltung sowie Eindrücke zu Fragestellungen der Mobilität, die uns in 2020 sicher noch öfter beschäftigen werden, zu erlangen.

Eindruck vor Ort

Bevor es ans Eingemachte geht, möchte ich euch einen kleinen Einblick zu Dresden und dem Veranstaltungsort geben. Mit mehr als 500.000 Einwohnern ist Dresden eine Großstadt, die effektiv durch die Elbe geteilt ist. Der öffentliche Verkehr vor Ort wird von der Dresdner Verkehrsbetriebe AG, die im Jahr 2019 in Summe 164 Millionen Fahrgäste befördert hat, organisiert und es kommen Straßenbahnen, Busse, Bergbahnen und Fähren zum Einsatz. Daneben gibt es S-Bahnen sowie Regional- und Fernverkehr der Deutschen Bahn und anderer Anbieter. Aber auch ein breit aufgestelltes ÖPNV-Netz wie in Dresden ist nicht besonders gut nutzbar, wenn ausgerechnet um den eigenen Zielort herum alle Haltestellen umgebaut werden. Da ist es praktisch, wenn es flexible Alternativen für die individuelle Fortbewegung gibt, wofür sowohl Leihfahrräder als auch E-Scooter zur Verfügung standen. Da ich gesundheitlich etwas angeschlagen gewesen bin, habe ich mich statt fürs in die Pedale treten für die „faulere“ Variante E-Scooter entschieden. Schließlich gibt es so etwas für mich im Schwarzwald nur selten zu nutzen und anstelle der Umleitungen des ÖPNVs ist es tatsächlich die schnellste Möglichkeit gewesen, die knapp 3 km zwischen Hauptbahnhof und Veranstaltungsort (Dreikönigskirche) über die Elbe hinweg zurückzulegen.

 

Strategie des MDV für den ländlichen Raum

Wie zuvor sicher schon rübergekommen ist, reihten sich für ÖPNV-Enthusiasten die Highlights im Programm. Normalerweise sträflich unterrepräsentiert, wurde sogar der ländliche Raum mit aufgegriffen, was mich natürlich besonders interessiert hat. Ron Böhme und Thomas Grzeschik des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds, welcher in Teilen Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts aktiv ist, zeigten auf, mit welchen Strategien der ÖPNV im ländlichen Raum ihres Erachtens nach vorangebracht werden soll. Allein in den Großstädten Leipzig und Halle sind zwar bereits die Hälfte der 1,6 Millionen Einwohner des Verbundgebiets angesiedelt, aber rechnerisch fällt die Bevölkerungsdichte im restlichen Gebiet des Verbunds mit ca. 115 Einwohner pro Quadratkilometer typisch für den ländlichen Raum aus. Denn laut des Bundesministeriums für Ernährung und landwirtschaftlich wohnen im ländlichen Raum Deutschlands 46,9 Millionen Menschen auf einer Fläche von etwa 326.000 Quadratkilometern, was in etwa 144 Einwohner pro Quadratkilometer entspricht. Somit liegt die Siedlungsdichte des Verkehrsgebiets des MDVs abseits der Großstädte sogar noch merklich unter dem Durchschnittswert für ländliche Räume. Mehr als genug Grund also, auf die Details des Vortrags gespannt zu sein.

Auch der MDV hat die Erfahrung gemacht, dass der ÖPNV im ländlichen Raum zunächst stark am Schülerverkehr orientiert ist. Abseits der damit verbundenen Routen gab es zunächst ein nur schwaches Ausgebot, was dementsprechend auch nur wenig genutzt wurde und somit vergleichsweise unrentabel gewesen ist. Das sogenannte Henne-Ei-Problem tritt also auch in der Verkehrsplanung auf und kann hier nur durchbrochen werden, wenn entweder das Angebot verbessert wird oder schlagartig mehr Kunden darauf zurückgreifen. Der MDV hat sich entschieden, in Vorleistung zu gehen und das Angebot attraktiver zu gestalten. Wie de Herangehensweise geplant ist, wird in der folgenden Abbildung deutlich.

Die Strategie stützt sich also auf drei Punkte. Durch eine bessere Vertaktung sollen die Umstiege leichter werden, wofür die Bahnhöfe der Region als Knotenpunkte mit Regionalbussen als Zubringer fungieren und es sollen mehr Haltestellen eingerichtet werden, damit die Wege und die Fahrtzeit entlang des gesamten Weges kürzer wird. Ein Vergleich ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben. Niemand würde es sich zumuten lassen, seinen Pkw mehr als einen Kilometer von der Haustür entfernt abzustellen, aber im ÖPNV werden diese Distanzen oftmals in Kauf genommen. Die Grafik zeigt auf, dass mit mehr Haltestellen eine viel höhere Abdeckung erreicht werden kann, während auf der linken Seite nur kleine Teile des Gebiets im Einzugsgebiet der Haltestellen liegen, ist bei der rechten Darstellung weitaus mit Sicherheit die Hälfte des Gebiets abgedeckt. Dementsprechend wohnen auch mehr Personen in kurzer Distanz zu den Haltestellen und die Attraktivität des ÖPNVs nimmt zu. Aber das beste Angebot kann nicht genutzt werden, wenn die potenziellen Kunden davon keine Kenntnis besitzen. Daher liegt ein weiterer Schwerpunkt des MDV im Bereich der Kommunikation, wofür ein Beispiel in der folgenden Abbildung zu sehen ist.

Der Slogan „Stadt.Land.Bus.“ legt nahe, dass der ländliche Raum nicht als Nische bedient wird, sondern tatsächlich im Fokus steht. Dazu wird ein Mobilitätsproblem des ländlichen Raums aufgegriffen. Nur eben wird diesmal nicht das oft angeprangerte Elterntaxi sondern das Enkeltaxi aufgegriffen. Schließlich heißt ein Grundangebot von Mobilität nicht nur, dass Schüler zur Schule kommen können, sondern auch ältere Personen ihre Ziele erreichen und somit am sozialen Leben teilhaben können. Da ist es doch naheliegend, knapp 20 € pro Monat für den ÖPNV zu investieren und so weder das eigene Auto noch die Enkelkinder zu beanspruchen. Wenn das öffentliche Verkehrsangebot gut zu nutzen ist, kann vielleicht sogar auf den eigenen Pkw verzichtet werden. Wie zuvor erläutert, greift genau da die Strategie des MDV.

Aber der ÖPNV kann nicht nur Grundangebote, sondern durchaus auch Premiumprodukte liefern. Im Falle des MDV ist das der PlusBus, welcher stündlich von 6 bis 20 Uhr verkehrt und unabhängig von Schul- und Ferienzeiten Anschluss an die Regional- und S-Bahn bietet. Üblicherweise entspricht dies der Charakterisierung eines Regiobusses, welcher mittlerweile oftmals eingesetzt wird, um den ÖPNV des ländlichen Raums abseits des Schienenverkehrs zu verbessern. Nur was vielerorts erst noch großflächig eingeführt werden muss, wie es z.B. in Baden-Württemberg geplant ist, befindet sich beim MDV bereits seit dem Jahr 2013 im Einsatz. Dass es sich dabei um ein Erfolgsmodell handelt, wird daran deutlich, dass im Modellprojekt Muldental, wo das bestehende Angebot um sechs Plusbusse neben weiteren Vertaktungen ergänzt wurde, ein Fahrgastzuwachs von 14 % erreicht wurde. Demgegenüber sind die Fahrgastzahlen in angrenzenden Gebieten im gleichen Zeitraum um knapp 6 % gesunken. Als wäre das alles noch nicht genug, wird beim MDV zusätzlich an der Planung des Rufbusses gearbeitet. Jedoch haben die Details der Dispositionssoftware meinen von Erkältung gebeutelten Kopf etwas überfordert, sodass an dieser Stelle leider keine Details folgen werden. Aber das Thema Rufbus ist auf jeden Fall einen eigenen Beitrag wert, sodass ihr in Zukunft hier sicher etwas dazu lesen werden könnt.

Meine weiteren Highlights

Nachdem ich den Vortrag des MDV etwas ausführlicher durchgegangen bin, werde ich nun noch ein paar Auszüge zu den anderen Vorträgen und Unterhaltungen bieten, ohne dass eine Wertung dahintersteckt. Denn grundsätzlich haben mir alle Vorträge gut gefallen. Von Fairtiq hatte ich schon öfter gehört, aber erst nach dem Vortrag des CEOs und Gründers Gian-Mattia Schucan wurde mir klar, um was für ein gutes Angebot es sich dabei handelt. Wie es eingangs auch so passend beschrieben wird, wollen die Menschen eigentlich kein Ticket kaufen, sondern lediglich von A nach B fahren. Das können sie auch in der gesamten Schweiz machen, da ihnen alles andere von Fairtiq bzw. der Smartphone App abgenommen wird. Statt am Fahrkartenautomaten zu rätseln, was nun das beste Ticket wäre, kann einfach losgefahren werden und die Bestimmung des Preises sowie die Abrechnung erfolgt alles im Nachhinein über Fairtiq. Dabei wird sogar über einen längeren Zeitraum betrachtet, ob eine Zeitkarte vorteilhafter gewesen wäre. Neben der Schweiz wird Fairtiq in Lichtenstein und Österreich sowie einigen deutschen Verkehrsverbünden angeboten.

Ein weiterer großer Vorteil ist, dass innerhalb von nur zwei Jahren eine Abdeckung der gesamten Schweiz erreicht werden konnte. Bei Nutzung von Fairtiq sind Verbundsgrenzen somit irrelevant. Dies ist insbesondere im ländlichen Raum vorteilhaft, da hier oftmals Anschlusskarten gekauft werden müssen und die Fahrt somit umständlich und teurer wird. Insgesamt also ein komfortabler Service, der zwar ein Smartphone voraussetzt, aber dadurch nicht ausgrenzend sogar inklusiver wirken kann. Denn einfach ein Handy dabei zu haben ist allemal leichter, als einen mitunter kompliziert zu bedienenden Fahrkartenautomaten zu entschlüsseln. Zu diesem Punkt lasse ich einfach mal die Kundenrückmeldung hier stehen:

Inklusion ist ein Thema, das uns beim ÖPNV noch in den nächsten Jahren öfter beschäftigen wird. Schließlich sollen alle Haltestellen Ende 2022 barrierefrei umgebaut sein, was angesichts der wenigen, noch verfügbaren Zeit skeptisch zu hinterfragen ist. Dieser Meinung ist auch Dr. Peter Münzberg, mit dem ich in einer Pause Gelegenheit zu einem Gespräch hatte. Als Ehrenvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e. V. beobachtet er die Entwicklung von Inklusion im ÖPNV schon seit vielen Jahren und es helfe nicht, nun im Anbetracht einer Zielverfehlung in Hysterie zu verfallen. Stattdessen solle man sich kompromissbereit zeigen und die Haltestellen nach Priorität stufenweise in den kommenden Jahren umbauen. Als Minimum sollten jedoch in Zukunft alle neuen Haltestellen ohne Barrieren errichtet werden. Barrierefreiheit geht aber auch weiter über die Haltestellenauslegung hinaus und hier verspricht die Digitalisierung Verbesserungsmöglichkeiten. Beispielsweise sind Informationen und Auskünfte für mobilitätseingeschränkte Personen über Apps weitaus leichter zugänglich, als wenn mit einem umständlichen Faltplan oder Karten hantiert werden müsste. Gleichzeitig können über das persönliche Smartphone zielgerichtet Informationen bereitgestellt oder Hilfestellungen angefordert werden, ohne dass auf allgemeine Durchsagen zurückgegriffen werden muss. Dadurch ist es wahrscheinlicher, dass wichtige Auskünfte nicht überhört werden und eine allgemeine Informationsflut im Fahrzeug kann vermieden werden. 

Gefühlt wurde im Jahr 2019 das Wiener Modell bzw. 365 Euro Ticket als positives Beispiel nahezu überstrapaziert. Ob dieses Angebot auch in deutschen Großstädten gut funktionieren kann, lässt sich anhand der Erfahrungen aus Bonn inzwischen absetzen. Die Stadt wurde vor zwei Jahren als eine von fünf Lead Cities zur Erprobung von Ansätzen zur städtischen Luftreinhaltung ausgewählt und in Rahmen dessen ist nun ein „KlimaTicket“ bzw. ein Jahresabonnement des ÖPNVs für 365 Euro statt 1021 Euro erhältlich. Da explizit untersucht werden sollte, ob auf diese Art und Weise Neukunden gewonnen werden können, ist das KlimaTicket nur Personen ohne bestehendes Abbo zugänglich. Erwartungsgemäß hat dieser Umstand natürlich am Anfang für Unmut bei Bestandskunden gesorgt, aber dennoch ist das neue Angebot insgesamt gut angenommen worden, denn innerhalb nur einen Jahres konnte die Anzahl an entsprechenden Abbos auf 16.000 Stück verdoppelt werden. Ohne Unterstützung aus Bundesmitteln wäre dieses Angebot so jedoch nicht umzusetzen gewesen, da einerseits gleichzeitig ein Ausbau des ÖPNV-Angebots angefangen wurde und andererseits noch vor den Fahrgastzahlen größere Herausforderungen anstehen. Laut der Geschäftsführerin der Stadtwerke Bonn Verkehrs GmbH Anja Wenmakers ist dabei vor allem der Mangel an Fahrpersonal zu nennen. Denn der Ausbau des Angebots erfordert den Einsatz von mehr Fahrzeugen, wofür zusätzliche Fahrerinnen und Fahrer noch viele Jahre unabkömmlich sein werden. Auf die Frage aus dem Publikum, ob das Angebot auch ohne unterstützende Finanzmittel des Bundes weitergeführt wird, setzte nahezu Ernüchterung im Saal ein. Laut Frau Wenmakers sei zu ungewiss, wie die entstehenden Defizite wieder gut gemacht werden können (Parkraumbewirtschaftung sei ein interessanter Ansatz), sodass nach Ablauf der Erprobungsphase wohl das KlimaTicket nicht erneut angeboten werden kann. Im Nachhinein wird es dann spannend sein zu sehen, wie viele Neukunden sich vom ÖPNV in Bonn überzeugt werden können und auf ein regulär bepreistes Abbo zurückgreifen. Auch wenn das 365 Euro Ticket zu vielen Neukunden geführt hat, wird es sich aller Voraussicht nach nicht als reguläres Angebot etablieren können.

Aber das 365 Euro Ticket ist bei weitem nicht die einzige Möglichkeit für eine innovative Tarifausgestaltung im ÖPNV. Welche anderen Ansätze es gibt und wie die Praxiserfahrungen damit ausgefallen sind, wurde von Gerhard Probst, Leiter einer Marketing-Beratungs-Agentur, aufgezeigt. Beispielsweise sollen in Teilen Tirols zukünftig mehr Touristen durch günstige oder sogar kostenlose Fahrten mit dem ÖPNV angelockt werden, wodurch andere Einnahmequellen und Kooperationen erschlossen werden können. Ein ähnlicher Ansatz wird in Augsburg verfolgt, wo die Attraktivität der Innenstadt durch kostenlosen ÖPNV erhöht werden soll. Dadurch sollen Einkaufsmöglichkeiten leichter erreichbar sein und das Parken außerhalb des Innenstadtbereich soll öfter genutzt werden. Zudem können auch scheinbar kleine Anpassungen eine große Wirkung entfalten. Beispielsweise wurden die Konditionen der Tageskarte in Regensburg Nutzerfreundlicher gestaltet, sodass bereits nach kurzer Zeit eine erhöhte Nachfrage um 20 % erreicht werden konnte.

Darüber hinaus erhält seit Anfang 2019 jeder neue Mieter Unnaer Kreis- Bau- u. Siedlungsgesellschaft für einen monatlichen Aufpreis von knapp 10 Euro ein Mieterticket für den jeweiligen Wohnort. Im Vergleich würde ein entsprechendes Abo knapp 50 Euro kosten. Somit können durch den solidarischen Ansatz deutliche Einsparungen erreicht werden. Diese Idee wird in Wuppertal noch größer ausgerollt, denn mit dem Bürgerticket, welches von Jan Niko Kirschbaum vorgestellt wurde, soll sozusagen das Semesterticket für alle eingeführt werden. Statt hohen Fahrpreisen bei wenigen Nutzern vorauszusetzen, kann die Finanzierungslast somit auf viele Schultern verteilt werden, sodass jeder einzelne nur einen kleinen Beitrag bezahlt und ein umfangreiches, öffentliches Verkehrsangebot nutzen kann.

Wie zu erkennen ist, wird für ein übliches Abbo eine Ersparnis von etwa 20 Euro erreicht, sodass monatlich nur 50 Euro und pro Jahr somit 600 Euro zu zahlen sind. Damit ruft das Modell pro Person in etwa Kosten pro 2 Euro pro Tag hervor, was ansonsten bereits bei einer Einzelfahrt anfallen würde. Dazu sind je nach Einkommen und Status weitere Vergünstigungen vorgesehen, womit nicht nur die Finanzierung, sondern auch der Zugang zu diesem Ticket solidarisch ausgestaltet ist. Dazu ist damit zu rechnen, dass viele Personen auf ihr eigenes Auto verzichten, wenn sie bereits eh über ein ÖPNV-Ticket verfügen. Laut Herrn Kirschbaum kann damit gerechnet werden, dass der PKW-Verkehr um etwa die Hälfte zurückgehen würde, sodass er nur noch 25 % des Modal-Splits ausmacht. Die gängigste Replik an dieser Stelle ist, dass dann aber auch das Angebot der anderen Verkehrsträger stimmen muss, damit ein Umstieg erfolgen kann. Durch das Bürgerticket werden zum einen zusätzliche Einnahmen generiert und zum anderen sind sie besser planbar, was zusammengenommen den Ausbau des ÖPNV-Angebots vereinfacht. Zum Beispiel ist es in dem Modell vorgesehen, einen 20 Minuten Takt sowie Nachtfahrten einzuführen. Zudem können Elektrifizierung und die Einführung neuer Linien vorangetrieben werden. Insgesamt können durch diesen Ansatz somit viele Vorteile erschlossen werden und meiner Meinung bietet sich in Wuppertal somit die Möglichkeit, wegbereitend eine wirkliche Neuerung für den ÖPNV einzuführen. Neben rechtlichen Hürden muss vorab zu einer Umsetzung aber natürlich auch geklärt werden, ob die Mehrheit der betroffenen BürgerInnen diesen Ansatz tatsächlich unterstützt. Das Meinungsbild scheint in der Regel zweigeteilt zu sein, denn in der Regel spricht sich nur etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden von Umfragen (siehe Ausschnitt oben) gegen das Bürgerticket aus. Nun bleibt es spannend zu sehen, ob es zu einer Mehrheit kommen und das erste komplett, solidarisch finanzierte ÖPNV-System einer deutschen Stadt Realität werden kann.

Fazit

Ich hoffe, dass aus der Auswahl für jeden etwas dabei gewesen ist. Einige Beispiele habe ich nicht aufgegriffen, da sie sich mitunter ähnelten oder ähnlich zu den ausgewählten Themen ausgefallen sind. Dahinter ist bitte keine Wertung zu verstehen und ich möchte jeden Lesenden ermutigen, auch zu den anderen Themen wie MaaS bei der Schweizerischen Bundesbahn oder kostenlosen ÖPNV an Samstagen in Aschaffenburg zu recherchieren. Sollten Fragen aufkommen oder Anmerkungen loszuwerden sein, könnt ihr mich gerne kontaktieren.

Nun bleibt nur noch, die übergreifende Frage des Kongresses „Hält die Digitalisierungsstrategie im ÖPNV, was sie verspricht?“ zu beantworten. Leider haben sich die Veranstalter dazu etwas aus der Affäre gezogen, aber tatsächlich kann so eine umfangreiche Frage wohl kaum innerhalb von zwei Tagen beantwortet werden. Digitalisierung bedeutet schließlich auch nicht nur, irgendwas mit Apps zu machen. Stattdessen können zahlreiche Vorteile für den ÖPNV erschlossen werden, sodass beispielsweise Informationen leichter zugänglich sind oder Planungen und somit auch Umstiege verbessert werden. Meine gewählten Beispiele tragen zugegebenermaßen nicht dem Kern der Frage Rechnung, zeigen aber hoffentlich dennoch interessante Ansatzpunkte für euch auf. Bei meinem nächsten Konferenzbesuch, der IT-TRANS in Karlsruhe, wird es dann etwas technischer zugehen. Ich werde gut aufpassen, damit ich davon auch genügend mitbekomme und für euch auf Papier bringen kann.