Nebenwirkungen von Aktivismus

Hey Leute! Was ihr bisher so von mir gehört habt, klingt nach der Zeit meines Lebens. Eine sinnstiftende Aufgabe, einmalige Erfahrungen, aufregende Aktionen, viele neue Freunde und gute Orga. Das stimmt alles und der Aktivismus ist für mich ein echter Glücksfall. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Wenigste im Leben nur Vorteile hat. Das stimmt auch hier. Der AKW - "Arbeitskreis Wirhabenunsallelieb" - gegen "Folgeschäden" von Aktivismus hat durchaus seine Daseinsberechtigung und Stress einen festen Platz in unseren Leben.

Ambitionen und Erwartungen

Das Grundproblem ist, möglichst viel mit begrenzter Peoplepower erreichen zu wollen. Es kommt aber natürlich stark darauf an, wie groß die Ambitionen sind. Nur wollen wir FfF-ler ja ein ziemlich großes Ziel erreichen. Zum Glück sind wir ja auch (recht) erfolgreich dabei, aber hier kommt schon der nächste Punkt: Die eigenen Erwartungen. Bei uns allen sind sie seit der letzten Großdemo stark gewachsen. Aber ich bin sozusagen schon vorgeschädigt: Die Demos zum PAG waren zwar kein Selbstläufer, doch waren wir alle unglaublich aktiv, motiviert und zumindest ich war neu dabei. Nach einem gut dreiwöchigen Marathon konnten wir mit 1500 Menschen in Erlangen und 6000 in Nürnberg zwei - für damalige Verhältnisse - sehr beachtliche Menschenmengen hinter unser Anliegen bringen. Schon damals sagte ich mir und jedem, der es wissen wollte: "Das war der Wahnsinn, aber das kann man sicher nicht länger als drei Wochen durchziehen." Naja, was soll ich sagen... Doch. In Erlangen ist Fridays for Future seit über einem Jahr aktiv und es ist schon längst nicht mehr nur ein Marathon. Das Ganze ist inzwischen wahrscheinlich nicht mal mehr ein Ironman. Wenn man dann auch noch erfolgsverwöhnt ist, wie ich, dann ist das keine besonders gute Mischung.

Ein Wochenplan - Theorie

Damit es für euch etwas greifbarer wird, weshalb ich von Extremsportarten rede, hier einmal ein paar Zahlenspiele: Ich rede immer davon, dass ich keine Wochenenden oder Feiertage und eine Sechzig-plus-Stunden-Woche habe. Wöchentlich arbeite ich drei Stunden als Tutor für die Erstsemester in Politikwissenschaft, um mein monatliches Defizit im Rahmen zu halten. Mein Semester hat überschaubare 16 Wochenstunden. Die Studierendenvertretung braucht normalerweise 20 Stunden - Sitzungen, Empfänge, Meetings, Mails, Anrufe und Bürokratie. Für Fridays for Future mache ich persönlich regelmäßig etwa 16 Stunden pro Woche: Plena, Repräsentation auf externen Veranstaltungen, Interviews, Telefonate, Infostände, Vorplanungen, Mails oder Texte schreiben und Demomoderation. Drauf kommt dann noch die Zeit, die ich auf dem Rad, im Bus oder in der Bahn verbringe, was nochmal zirka 10 Stunden pro Woche sind. Allerdings kann ich in den Öffis natürlich auch arbeiten. Irgendwo dazwischen ist manchmal Platz für was zu essen, Privatleben, anderweitige, interessante, politische Veranstaltungen und die Feuerwehr. Seit gut eineinhalb Jahren habe ich keine Zeit mehr für eine richtige Sportart - außer meiner täglichen Wege mit dem Fahrrad. Ich plane das allerdings wieder zu ändern.

Spontanität - die Praxis

Im letzten Absatz kamen Synonyme von "üblicherweise" ungewöhnlich häufig vor. Insgesamt klingen die Angaben im letzten Absatz alle etwas unsicher, oder? Da habt ihr recht, sie sind es. Ich glaube aber, dass die Stundenzahlen ein ganz gutes Bild meiner Durchschnittsauslastung zeichnen. Tatsächlich scheitert ein sauberer Wochenplan an mehreren Punkten: Erstens mischen sich meine Aufgaben natürlich: Wenn ich jetzt das redaktionell am studentischen Klimaschutz- und Nachhaltigkeitskonzept arbeite, ist das dann Stuve oder FfF Studi AG? Wenn ich für den Spendenlauf der Stuve das ganze Wochenende einen Transporter von A nach B fahre, um Tonnen von Material, aber eben auch die Technik für die nächste Demo zu transportieren was ist das dann? Und dann ist die Frage ja noch nichteinmal gestellt, welche Aktivität jetzt überhaupt "Arbeit" und was "Freizeit" ist. Wenn beinahe alles irgendwie beides ist, dann ist das auch Work-life-Balance oder? Außerdem ist, zweitens, keine Wochen wie die andere. Klingt platt und klischeehaft? Okay, passt auf! Als Erstes kommen regelmäßige Termine. Dann Einzeltermine. Einerseits diejenigen, die wir uns nicht aussuchen können, wie etwa Podiumsdiskussionen oder Workshops, andererseits die eigenen Treffen. Letztere werden bei der Stuve oder bei FfF irgendwo in die gemeinsamen Lücken hineingedoodlet. Schließlich sind natürlich Mails und ähnliches recht flexibel - können also gegebenenfalls außenrum gemacht werden, oder wenn etwas ausfällt. So kann es schon mal passieren, dass ich am Ende des Tages ein paar völlig andere Themen erledigt habe, als ich es morgens erwartet hätte. Drittens, und das ist der wohl bedeutendste Punkt, verteilt sich die Arbeit kein bisschen gleichmäßig: Die Studierendenvertretung braucht regelmäßig mindestens 12 Stunden in der Woche, aber wenn wir eine Aktion geplant haben sind es gut und gerne mal 15 zusätzliche an einem einzigen Tag. Bei FfF gab es auch schon Wochen, in denen ich vielleicht eine halbe Stunde in Summe investiert habe. Aber am 20.09. war ich über acht Stunden aktiv und die Woche davor auch täglich mindestens vier. Dabei habe ich ja noch das Glück, weder Deligierter zu sein noch die eigentliche Demoorga zu machen.

Folgeschäden

Schlafmangel, Hunger und Anspannung sind die unmittelbarsten und regelmäßigen Probleme. Mittelbar bringt ein solcher Lebensstil aber auch schlimmere Folgen mit sich. Bisher ist zum Glück niemand von uns ernsthaft krank geworden, aber es gibt Geschichten, dass das in anderen Ortsgruppen anders aussieht. Häufig leidet auch das Studium oder die Schule. Anfangen kann das mit einer nicht bestandenen Klausur, wie etwa ironischerweise Umweltrecht in meinem letzten Semester. Einige meiner Freunde mussten aber wegen des ganzen Engagements schon den Studiengang wechseln. Im sozialen Umfeld ist das Thema Überlastung häufig ebenfalls greifbar. Ich will gar nicht wissen, wie viele Streits schon über FfF in Familien ausgebrochen sind, wie viele Freundschaften und Beziehungen gelitten haben.

Letztlich kommt bei einem selbst natürlich alles zusammen. Körperlicher, sozialer und studiumsbezogener Stress. Dazu kommen dann noch stark gestiegene Ausgaben im Alltag fürs Telefonieren und auswärts Essen. Ich habe es letztes Jahr zum Glück geschafft mehrere sehr entspannte (und ökologische) Urlaube zu machen, aber dafür hab ich jetzt noch weniger Geld. Bald ist erstmal alles Ersparte weg. Aber ohne intensive Pausen geht es nicht. Das Adjektiv aus dem letzten Satz bringt es gut auf den Punkt. Intensiv. Und manchmal ist es halt zu intensiv. Aber weil man nicht einfach aufhören kann, für seine Überzeugung einzustehen, werden wir weitermachen. Egal wie ausgebrannt manche von uns sein mögen, ich kenne niemanden, der oder die einfach aufgehört hätte. Ihr werdet also noch einige Zeit von mir hören. Bis dahin.

Macht's gut!