Von Tulcea nach Bukarest fahren wir mit einem Bus, den wir tags zuvor telefonisch reservieren mussten, was nur in gebrochenem Französisch ging, aber bei der Abfahrt funktioniert alles reibungslos, wir haben unsere Karten, die für zwei Personen 90 Lei, umgerechnet rund 19 € kosten und nach einigem Warten am Busbahnhof, auf dem wir von nächtlichen Taxifahrern allen Comfort versprochen bekommen, wenn sie uns für 120 € nach Bukarest bringen dürfen, kommt auch der Bus, der sich jedoch weniger als Omnibus und mehr als Sprinter entpuppt, in den ein mehr oder weniger genialer Ingenieur 19 Sitzplätze gequetscht hat, was zu einer Beinfreiheit führt, die den Namen nicht einmal ansatzweise verdient.
Alle Plätze sind voll ausgebucht und eine Klimaanlage scheint es nicht zu geben, nur ein Radio, das den Bus die ganze Nacht mit rumänischem Hip-Hop beschallt und so entwickelt sich schon nach wenigen Minuten eine abartige Hitze in dem engen Auto, die uns die fünf Stunden bis Bukarest auch treu begleiten wird. Das Schlafen auf den unbequemen Sitzen gestaltet sich schwierig, insbesondere, wenn der Vordermann seinen in Liegeposition bringt und dadurch die Blutzufuhr in die Beine abgeschnitten wird.
Draußen beginnt in den frühen Morgenstunden ein heftiger Regenschauer, der, wie sich bei der Ankunft in Bukarest zeigen wird, jedoch nicht gegen die schwüle, drückende Luft ankommt.
Unvermittelt kommt der Bus auf einem Hinterhof in Bukarest zum Stehen und alles steigt aus. Wir als letzte, völlig nassgeschwitzt, schnell die Koffer aus dem Sprinter holen, der Fahrer drängt und schon sind alle weg, nur aufdringliche Taxifahrer wollen uns unbedingt zum Flughafen bringen. Wir versuchen uns aber erstmal zu orientieren und herauszufinden, wo der Bahnhof ist, zu dem uns der Bus eigentlich bringen sollte. Um die Ecke und die Straße weiter finden sich dann Wegschilder und nach rund 15 Minuten durch strömenden Regen sind wir am Nordbahnhof; nass, müde und durstig.
Es ist 8 Uhr morgens und unser Zug nach Wien fährt erst um 14 Uhr, also beschließen wir unser Gepäck aufzugeben und uns Bukarest anzuschauen. Schließfächer für Gepäck gibt es in Bukarest nicht, stattdessen einen Raum, der wie ein sowjetisches Beamtenstübchen ausgestattet ist und in dem sich hohe Regale voller Koffer stapeln.
Nach einigem Hin und Her, weil der ältere Herr, der dort arbeitet kein Englisch versteht, sind die Koffer dort untergebracht und wir machen uns auf den Weg.
Es fällt schwer sich in Bukarest zu orientieren und eine Art Stadtzentrum zu finden, deshalb beschließen wir, nach mehrmaligem Umrunden des Bahnhofes, in eine Straßenbahn zu steigen und uns so die Stadt anzuschauen.
Die Straßenbahnen sind uralt und klappern wackelig über die Straßen, wir steigen in einen grauen Wagen des Typs Tatra T4R ein, der wohl zu Beginn der 1970er Jahre gebaut wurde und dem heute nicht mehr anzusehen ist, ob er jemals farbig lackiert war. Der kleine Wagen verfügt über nur vereinzelte Sitzplätze aus knallig orangenem Kunststoff, an den Wänden und Fenstern sind Graffitis und Sticker, auf dem Boden kleben wohl die Kaugummireste der letzten 40 Jahre und bei jeder Weiche ächzt und kracht die Straßenbahn und schüttelt die Fahrgäste heftig durch.
Der Straßenverkehr funktioniert weitgehend ohne Ampeln oder Schilder, die ebenso wie die Fahrbahnmarkierungen durch genauso lautstarkes Hupen, wie aggressive Fahrweise ersetzt werden.
Die Stadt macht den Eindruck einer etwas verfalleneren und weniger gepflegten Version von Paris. Bukarest war sicherlich einst ein wunderschön, wie sich noch erahnen lässt, aber zwischen die ehemals prachtvollen Fassaden drängten sich dann später die typische Ostblockplatte und heute wird das städtebauliche Bild zusätzlich von modernen Glas-Wolkenkratzern durchbrochen, in denen westeuropäische Banken und amerikanische Fastfoodketten ihre Niederlassungen haben.
Bukarest ist eine wachsende und aufstrebende Großstadt, in der viele Entwicklungen sichtbar sind, trotzdem trägt die Stadt auch schwer an ihrem Erbe, denken wir, als wir uns wieder Richtung Bahnhof aufmachen und damit nun endgültig den Heimweg antreten.
Die Rückfahrt gestaltet sich im Gegensatz zur Hinfahrt relativ reibungslos, zwar werden wir wieder an der rumänischen und ungarischen Grenze von nächtlichen Kontrollen geweckt, aber 37 Stunden nachdem wir in Tulcea am Donaudelta aufgebrochen sind, erreichen wir tatsächlich unser wunderschönes und über 2.500 Donaukilometer aufwärts liegendes Ulm und sind wieder daheim.
Nach diesem Reiseerlebnis erscheint die Frage, wie wir uns die Mobilität im Jahre 2050 vorstellen angesichts der Realität in Ungarn, Rumänien und Bulgarien als ein absolutes Luxusproblem. Die Mobilität in vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks ist selbst in unserer Gegenwart noch lange nicht angekommen, sondern bewegt sich zum Teil auf demselben Niveau, wie vor über 40 Jahren.
Wenn auf rund 1.000 Donaukilometern nur drei Brücken und kaum Fähren eine Verbindung zwischen den Ufern herstellen, in Bukarest völlig heruntergekommen Straßenbahnwägen das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs darstellen und die Eisenbahnstrecken in Rumänien selbst auf einigen Hauptrelationen eingleisig, nicht elektrifiziert und für nicht schnellere Geschwindigkeiten als 60 km/h ausgebaut sind, dann müsste eigentlich in der europäischen Union erst dort in die Infrastruktur investiert werden, bevor wir uns in gedanklichen Luftschlössern zur Mobilität der Zukunft verlieren...
Oder muss vielleicht beides passieren, denn wie soll das mit dem Klimaschutz funktionieren, wenn alle Länder unsere gegenwärtige Mobilität anstreben, die ja wahrlich nicht sehr umweltschonend ist?!
Ich freu mich auf die Diskussion